Uns Nordeuropäern wird nachgesagt, dass wir den Wald lieben, also auch Bäume. Sie sind lebendige Wesen. Umso mehr macht es mich traurig, wenn ich in unserer Kolonie immer öfter sehe, dass ihnen Kopf und Arme abgeschnitten wurden, bis zum Tod.
Obstbäume sind Kulturpflanzen und Pflege tut ihnen gut, so wie allen Pflanzen in unseren Gärten. Verstümmelung ist keine gut Idee. Am häufigsten höre ich – wir haben keine Lust auf das Laub. Dabei ist Laub das Gold des Gärtners: Kompost, Mulch, Humusaufbau und Nahrung für das Bodenleben, aber das ist hier nicht das Thema. Nächstes Argument, die Früchte isst doch eh keiner.
Ich möchte Euch hier gern den Baumschnitt näherbringen, wie ich ihn gelernt habe, um nicht nur Früchte sondern auch Freude zu ernten. Wir wollen vor allem Sonnenlicht in den Baum bringen und ihn verjüngen. Vorweg, alles hier gilt für Kern- und Steinobst, nicht für Exoten, wie z.B. Pfirsich.
1. Wichtige Regel – viel Schnitt regt viel Wachstum an. Was jahrelang versäumt wurde,
können wir nicht mit einem Schnitt wieder gut machen. Im Gegenteil, es würde viel
Austrieb, Laub und wenig Obst bedeuten. Den Schnitt solltet Ihr sanft über einige
Jahre verteilen. Es heißt also wiedermal Geduld.
2. Der richtige Zeitpunkt spielt weniger eine Rolle. Kernobst (Apfel, Birne, Quitte) kann
gut im Winter geschnitten werden, auch bei leichtem Frost. Hauptsache trocken und
möglichst sonnig. Feuchtigkeit ist das Problem, sie kann Bakterien und Pilz in die
Schnittwunden bringen und Schaden anrichten. Steinobst (Kirsche, Pflaume,
Mirabelle) soll nach der Ernte im Sommer geschnitten werden. Das kann aber wegen
des dichten Blattwerks unübersichtlich sein. Deshalb könnt Ihr auch das Frühjahr
wählen, wenn der Baum im Saft steht. Wer bis zur Blüte wartet, erkennt sogar besser
was Blattknospen und was Blütenknospen sind.
3. Nun zum Schnitt mit scharfem Werkzeug, z.B. Astschere oder Giraffe. Der Baum
besteht aus Stamm, Ästen (Leitholz), daran das Fruchtholz mit den Kurztrieben (an
denen befinden sich z.B. beim Kernobst die meisten Fruchtansätze) und aus
Wassertrieben. Letzteres sind die dünnen, aufrechten Schösslinge, die kein Obst
tragen und wir jedes Jahr entfernen.
4. Wir schneiden nicht die kleinen hölzernen Triebe, an denen sich die Blütenansätze befinden. Wir schneiden einjähriges Langholz, vor allem wenn es nach innen wächst oder zu dicht wachsende, auch ältere Äste ganz heraus. Ansonsten kürzen wir die jungen Triebe ein bzw. leiten sie auf einen schwachen, nach außen stehenden
Seitentrieb ab. Dabei bitte keine Stummel von 1-2 cm stehen lassen, die treiben wieder aus. Wir scheiden dicht am Stamm, über dem Astring. Diese Wunden kann der Baum am besten verschließen. Das Einkürzen einjährigen Triebe regt beim Steinobst die Fruchtholzbildung an. Aber aufgepasst, dazu sollen immer ein paar Blattknospen vorne erhalten bleiben. Wer auch hier zu viel schneidet, regt eher Blättertriebe an.
5. Baumwachstum und Früchte sind Konkurrenten. Ein Obstbaum, der in diesem Jahr
reichlich Früchte hatte, legt im Folgejahr meist eine Pause ein. Dann lieber weniger
schneiden und ihn ruhen lassen. Im Folgejahr wieder etwas mehr schneiden und
irgendwann haben wir hoffentlich einen gleichmäßig reichen und leckeren Ertrag. Wie
herrlich ist doch das frische Obst vom eigenen Baum und selbstgemachte
Marmeladen. Und wenn es irgendwann zu viel ist, denkt an Freunde und Nachbarn.
Bleibt grün, Eure Anja
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